Ende August 2019 wurde ein Wettbewerbsbeitrag für ein Mahnmal in Saarbrücken eingereicht. Mit diesem Mahnmal auf dem Beethovenplatz vor der Synagoge soll der rund 2000 Menschen gedacht werden, die während der nationalsozialistischen Herrschaft verschleppt und getötet wurden. Das Mahnmal soll deren Namen und Lebensdaten tragen – als Ersatz für ein Grabmal.
und Aufsicht
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der Namen
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Wir schaufeln ein Grab in den Lüften …
Ein Mahnmal der Deportation
Das Mahnmal transportiert seine Botschaft auf zwei Ebenen:
auf der skulpturalen Ebene und auf der sprachlichen Ebene.
Die skulpturale Ebene arbeitet mit einem Zitat. Der gelbe Judenstern, das Zeichen der Diskriminierung und schließlich der grausamsten Verfolgung, hat sich den nachgeborenen Generationen tief eingeprägt. Man erkennt ihn spontan in seiner Bedeutung und in seinem Kontext. Auf dieses Erkennen stützt sich die Skulptur. Sie gibt dem flachen zweidimensionalen Judenstern eine dritte Dimension, indem sie – destruierend – seine Ecken abknickt. Die beschädigten, „ramponierten“ Judensterne liegen ungeordnet auf dem Boden herum als Relikte eines entsetzlichen Vorgangs. Sie wirken überflüssig, verbraucht, ausgemustert. Sie scheinen verloren, hingeworfen, weggeworfen. Dennoch erscheinen sie als letzte Lebenszeichen von Menschen, die verschwunden sind. Sie scheinen den Nachgeborenen vor die Füße geworfen. In dieser Geste bilden sie – so ungeordnet sie auch zu liegen scheinen – doch ein schlüssiges Ganzes. Sie enthalten ein Bewegungs-Potential, sie scheinen zu atmen und sie bilden einen Organismus mit einer suggestiven Präsenz. Diese Präsenz scheint flüchtig. Die Sterne berühren den Boden kaum, allenfalls mit den Spitzen und Kanten. Die massiven Schatten sind konstituierende Bestandteile der Skulptur. Die Sterne wirken wie daliegende Papierflieger. Und in ihrer Lebendigkeit scheinen sie gleich abzuheben, sich davon zu machen, den Menschen, die sie verloren haben, hinterher. Sie sind in ihrer Gestik noch immer den Menschen verbunden. Der schwebende Charakter des Skulpturen-Ensembles ruft Assoziationen wach an Paul Celans Todesfuge: „Wir schaufeln ein Grab in den Lüften …“
Die sprachliche Ebene arbeitet mit den Namen der Deportierten. Diese Namen werden der Skulptur nicht einfach nur hinzugefügt, sondern sie sind selbst die Skulptur. Die Sterne erweisen sich ungeachtet ihrer eigenen autonomen Symbolik und ihrer skulpturalen Gestik vor allem als Träger der Namen. Sie richten sich schräg auf, um wie Pulte die Namen dem betrachtenden und lesenden Blick darzubieten. Die Vielzahl der Sterne steht für die Vielzahl der Todesorte. Auschwitz allein benötigt zwei Sterne. Auf anderen Sternen sind mehrere Todesorte zusammengefasst. Damit erzählen die Namen eine Geschichte, die Geschichte der Deportation, die auf Transporten quer durch Europa bei den zahlreichen Todesorten endet. Die Gliederung der Namen nach Todesorten schafft Verbindungen, Schicksalsgemeinschaften im Tod. Für die heutige Öffentlichkeit liegt darin eine historische Information: Wo war das? Und: Wie viele waren es dort? Die Todesorte bilden typografische Einheiten. Dort wo mehrere vereinzelte Todesorte zu einer typografischen Einheit zusammengefasst werden (z. B. „ermordet im übrigen Polen“), steht der individuelle Todesort jeweils hinter dem Namen. Die Namen weisen einen anderen Schriftschnitt auf als die Lebensdaten. Daraus beziehen die typografischen Einheiten ihre Lebendigkeit. Sie wirken wie amorphe Organismen. Hinzu kommt, dass der freie Zeilenfall die äußere Kontur auflöst. Die Typografie liefert eine Wolken-Assoziation. Innerhalb dieser Schrift- bzw. Namenswolken spring das Auge leicht von Namen zu Namen, von Person zu Person. Die alphabetische Reihenfolge erleichtert das Auffinden einzelner Namen. Der Betrachter wandelt zwischen den Sternen hindurch wie zwischen den Gräbern auf einem Friedhof. Dabei weisen die sternförmigen „Pulte“ in alle Richtungen. Es gibt kein Vorne und Hinten, keinen Anfang und kein Ende. Es gibt nur eine Verdichtung im Zentrum. Hier liegen die Sterne enger zusammen und tragen die größten „Namenswolken“. Der Platz vor der Synagoge wird zu einem Platz der Grabmale, die augenscheinlich keine Grabmale sind, denn die skulpturale Geste verweist auf das Grab in den Lüften.